RABENVÖGEL:

Intelligente Schönheiten - Mythos und Wahrheit

Dohle

 

Die Dohle ist kleiner als alle anderen schwarzen Krähenvögel der Gattung Corvus. Sie hat einen viel kürzeren Schnabel als Krähen und eine hohe Stirn, einen grauen Nacken und Hinterkopf, graue Ohrdecken, hellgraue Augen. Das restliche Gefieder ist oberseits schwarz erglänzend, unterseits matter schwarz. Die Dohle fliegt mit kürzeren Flügelschlägen und schneller als die Krähen, mit denen sie oft in gemischten Trupps vergesellschaftet ist. An den unverkennbaren Rufen ist sie aber auch in solchen Schwärmen sicher bestimmbar.

Dohle

Länge und Gewicht

Etwa 33 Zentimeter, etwa 180 bis 270 Gramm (je nach landschaftsabhängiger Ernährungsgrundlage.

Stimme

Sehr vielseitiges Repertoire. Bekannt und unverwechselbar sind die hellen, weit hörbaren Rufe wie „jack“, „kjöck“. Erregte Dohlen können diese Rufe rasch reihen oder gequetscht schnarren wie „kjerrrrr“. Die Stimme variiert individuell, Paarpartner erkennen sich schon auf Distanz an ihren Rufen.

Der Ruf der Dohle

 

Verbreitung

Die Dohle brütet in mehreren Rassen vom äußersten Norden Afrikas über ganz Europa bis nach Zentralsibirien. In Nordeuropa und Nordrussland kommt sie nicht über den 65. Breitengrad hinaus. Die Rassen unterscheiden sich in der Gefiederfärbung. Im Westen sind die dunkelsten, im Nordosten die hellsten anzutreffen. Die Dohlen in Mitteleuropa, West- und Südwesteuropa, Italien und Marokko werden als die Rasse C. m. spermologus zusammengefasst. Die Nominatform C. m. monedula brütet in Skandinavien und Westfinnland. Im Süden und Westen steigen Dohlen als Brutvögel bis in Hochlagen, in Mitteleuropa liegt der Schwerpunkt der Verbreitung in Lagen unter 500 Metern NN, darüber wird sie bis 1.000 Meter NN spärlicher. In den Schweizer Alpen steigt sie in den Haupttälern bis knapp 1.500 Meter NN.

Lebensraum

Die Dohle ist ursprünglich Bewohnerin halboffener Steppen. In geeigneten Lebensräumen ist sie hinsichtlich der Brutplatzwahl flexibel und brütet in Kolonien oder einzeln in Felsen, in Gebäuden wie Kirchen, in Mauerlöchern und -nischen von Ruinen oder in störungsfreien Dachstühlen, in Schornsteinen, in Baumhöhlen von Altholzbeständen oder Alleebäumen. Offene, halboffene oder parkartige Landschaften mit spärlich bewachsenen Freiflächen bieten gute Nahrungshabitate. Auch die in Baumhöhlen brütenden Dohlen finden sich zur Nahrungssuche außerhalb des Waldes in der offenen Feldflur ein. Kurzrasiges, insektenreiches Dauergrünland (frische Mähflächen, Viehweiden), Trocken- und Magerrasen wie auch abgeerntete Felder sind gute Nahrungsgründe in der Kulturlandschaft. Der (Extensiv-)Grünlandanteil des Nahrungshabitats beeinflusst die Koloniegröße: je ergiebiger, desto mehr Dohlen. So werden besonders reiche Jagdgründe von Dohlen im Schwarm genutzt bis hin zu Massenansammlungen. In der Naturlandschaft sind dies z.B. Flussufer mit breitem Überschwemmungsbereich und Spülsäume anderer Gewässer, in der zivilisatorisch geprägten Kulturlandschaft Kläranlagen und Mülldeponien.

Die Raumnutzung variiert jahreszeitlich deutlich: In der Brutzeit werden nur Flächen im nahen Umkreis der Nester beflogen (möglichst unter 500 Metern Entfernung). Dies erklärt die hohe Anforderung an die Lebensraumqualität der Nestumgebung als Voraussetzung für erfolgreiches Brüten. Im Winterhalbjahr dagegen treiben sich die unter Umständen großen Schwärme weiter umher und nutzen abgeerntete Ackerflächen, Maisbrachen und teilweise auch Grünland. Im zeitigen Frühjahr werden Rasenflächen im Siedlungsbereich, frisch eingesäte (Sommer-)Getreideäcker und frisch gedüngtes Grünland aufgesucht.

Bestandssituation

Die Dohle nimmt in West- und Nordwesteuropa zurzeit eher noch etwas zu. In Mitteleuropa dagegen hält sie sich nur noch in grünlandreichen und klimagünstigen Fußniederungen und Marschenlandschaften in stabilen Beständen. Vor allem aus dem südlichen mitteleuropäischen Bereich wird von Bestandsrückgängen berichtet, so aus der Schweiz, Südwestdeutschland, Tschechien, Südpolen. Als Rückgangsursachen sind die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung (Grünlandumbruch, Spritzmitteleinsatz), Forstwirtschaft (zu kurze Umtriebszeiten mit Verlust der Althölzer) und im Siedlungsbereich Gebäuderenovierungen (Verlust der Brutmöglichkeiten) bekannt. Bestandsschätzungen zum Vergleich: Niederlande 60.000 bis 120.000. Baden-Württemberg im Jahr 1950 etwa 3.000, 1981 nur noch etwa 1.000. Schweiz im Jahr 1989 noch 979 Brutpaare. Im nördlichen Mitteleuropa ist die Dohle nicht bedroht, im südlichen Mitteleuropa ist sie regional (potentiell) gefährdet.

Wanderungen

Die Dohle ist ein Stand-, Strich- und Zugvogel. Je winterkälter das Herkunftsgebiet ist, desto mehr ist sie ein Zugvogel; in England dagegen überwinternd. Ansonsten gilt: Altvögel sind eher Standvögel, Jungvögel wandern und ziehen vor allem im ersten Lebensjahr nach Südwesten (polnische auch nach Südosten). Beispiel: Schweizer Dohlen ziehen südwestwärts bis ins Rhonetal und maximal etwa 1.000 Kilometer bis südlich der Pyrenäen (Ebrotal). In der Schweiz ziehen dafür Dohlen aus Nordosten aus einem Einzugsbereich bis Polen. Auch das Überfliegen der Nordsee und des Atlantiks bis Island ist durch Ringfunde belegt, ja einzelne Exemplare haben schon Nordamerika erreicht.

Der Herbstliche Zughöhepunkt ist (zusammen mit der Saatkrähe) Mitte Oktober/Anfang November: Der Heimzug in das Brutgebiet findet je nach Witterung von Ende Februar bis Ende April statt. Bei überwinternden Brutdohlen besuchen die Koloniemitglieder auch im Hochwinter regelmäßig ihre Brutstätten, um sie zu „inspizieren“ (und ihren „Besitz zu halten“). Durch den Zuzug von Wintergästen ist der Dohlenbestand in vielen Teilen West- und Mitteleuropas im Winter um ein Vielfaches höher als im Sommer: So schätzt man in Baden-Württemberg beispielsweise die Zahl dieser Wintergäste auf etwa 15.000 bis 20.000 Vögel (das Zehnfache des Brutbestandes). Bei Laien führt dies zur irrigen Annahme, die Dohlen hätten sich hierzulande „übervermehrt“.

Nahrung

Dohlen sind vielseitige Allesfresser, mehr als die anderen Corvus-Arten aber Insektenfresser. Die Hauptnahrung variiert mit Angebot und Erreichbarkeit. Massenvermehrungen von Insekten werden genutzt. Zur Brutzeit und Jungenaufzucht sind Großinsekten besonders wichtig. Im Winterhalbjahr können Vegetabilien wie Getreidekörner und Grassamen zur Nahrungsgrundlage werden. Je nach Keim- oder Reifezustand werden Getreidekeimlinge, Hülsenfrüchte (Erbsen), Salat, Kohl, Nüsse, sehr gerne auch Früchte wie Kirschen und Äpfel gefressen. Ganzjährig nehmen Dohlen Abfälle aller Art auf und erscheinen deshalb in Schwärmen (vermehrt im Winter) auch an Mülldeponien.

Ältere Nahrungsuntersuchungen weisen eine Vielfalt an Großinsektenarten auf (Käfer, Heupferde usw.), die in neueren Untersuchungen weitgehend fehlt. Damit wird die Verarmung des Angebots im heutigen Landschaftszustand belegt. Auch an die Nestlinge werden, wenn sie heranwachsen, neben den zunächst vorherrschenden Insekten Vegetabilien verfüttert, z.B. reifendes Getreide. Vogeleier, Nestlinge und Kleinsäuger können erbeutet werden, fallen anteilmäßig jedoch bei allen Untersuchungen kaum ins Gewicht. Regenwürmer und Aas werden in gleichen Vorkommensgebieten von Dohlen weniger genommen als von Eltern und Krähen.

Die hohe Lernfähigkeit und Auffassungsgabe kommt im sehr plastischen Nahrungserwerb zum Ausdruck: Dohlen haben individuelle „Techniken“, die von anderen wiederum kopiert werden können. Meistens halten sie sich am Boden auf, picken, stochern, wenden Mist und Steine, um an Nahrung zu gelangen. Mit kurzen Flattersprüngen suchen sie fliegende Insekten zu erbeuten. Frisch gemähte Wiesen und kurzgefressene Viehweiden können genutzt werden, solange die Vegetation nicht höher als 15 bis 20 Zentimeter ist. Dohlen lassen Roßkastanien aus einigen Metern fallen, damit sie aufplatzen oder weichen hartes Futter in Wasser ein. „Feinschmecker“ spezialisieren sich manchmal auf Spatzenbrut oder sie fressen beispielsweise von Taubennestlingen nur die Innereien.

In Dörfern und Städten sind Dohlen weniger scheu als Aaskrähen. Sie kontrollieren selbst auf belebten Plätzen oder Schulhöfen Abfallkörbe, in den Vorgärten Komposthäufen, fressen in Hühnerställen mit. Sie verstecken Futterbrocken und können sich viele Tage gut an den Versteckplatz erinnert.

Fortpflanzung

Geschlechtsreif sind Dohlen mit einem Jahr. Bereits fünfmonatige Jungvögel sind „verlobt“, trotzdem erfolgt die erste Brut meist nicht eher als mit zwei Jahren. Die Paarbildung ist oft im Alter von sechs Monaten abgeschlossen und die Ehe der monogamen Dohlen hält danach lebenslang. Gegenseitiges Kraulen, Füttern und während der Eiablage mehrfache tägliche Paarung festigen den Zusammenhalt.

Ab Ende Januar wird um die Neststandorte gestritten. Die Männchen inspizieren den Nestplatz und zeigen ihn den Weibchen. Nur der engste Bereich um ein Nest wird gegen Artgenossen verteidigt, so dass sich Kolonien bilden können. Je nach Brutplatzangebot und Habitatqualität sind Kolonien (und damit auch die Bevölkerungsdichte) sehr unterschiedlich groß. In der Schweiz sind es durchschnittlich sechs Brutpaare, über 25 Paare in einer Kolonie sind eher schon die Ausnahme. In nordwestdeutschen Küstenmarschen hat fast jedes Dorf und jeder Bauernhof seine Dohlen, in Küstenstädten wie Emden sind Dichten von knapp 0,4 Brutpaaren pro 10 Hektar und in Vororten holländischer Großstädte sogar bis 4 Brutpaare auf 10 Hektar gezählt worden. Erwachsene, verpaarte Dohlen haben ihrem Nistplatz gerne über Jahre treu; ist die Dohlenbevölkerung klein und damit die Konkurrenz um geeignete Plätze gering, können sich auch Junge an ihrem Geburtsort ansiedeln. Nach einem Partnerverlust versuchen die Männchen ihren Nistplatz zu halten und eine neue Partnerin zu gewinnen. Verwitwete Weibchen dagegen suchen sich eher einen neuen Nistplatzpartner und ziehen zu ihm.

Dohlennester finden sich in Felsen, Baumhöhlen (Schwarzspechtfolger im Buchenwald), in Mauernischen, Schornsteinen (vor allem in Norddeutschland), Dachstühlen von Kirchturmspitzen und Brückenpfeilern. Dohlen haben gern einen engen, „schachtartigen“ Einstieg und Dunkelheit am Nest; sie nehmen auch geeignete Nistkästen an und brüten sogar ab und zu in Kaninchenbauen (Belgien, westfriesische Inseln). Frei fliegende Nester in alten Krähen- und Elsternnestern sind seltene Ausnahmen. Männchen und Weibchen bauen gemeinsam, einzelne schon ab Februar. Oft werfen sie die ersten Zweige einfach in den „Schacht“. Auf hängenbleibende entsteht dann das Nest, das nicht sehr groß ist: Durchmesser etwa 30, Höhe etwa zwölf Zentimeter. Jahrelang benutzte Nester können aber riesig werden: In Schornsteinen kommt es zu bis fünf Metern hohen Aufschichtungen, manche Nester sind über einen Meter breit. Zur Polsterung der Nestmulde dienen vor allem Tierhaare; häufig sieht man Dohlen, wie sie den ausgehenden Winterpelz von Weidetieren dafür einsammeln.

Ungefähr ab Mitte April bis Anfang Mai legt das Weibchen in Intervallen von 24 Stunden meist vier bis sechs (im Extremfall zwei bis acht) Eier, deren Farben stark variieren zwischen blassblau und hellgrün mit dunkel-graubraunen Flecken. Zwischen Fertigstellung des Nestes und der Eiablage können zwei bis manchmal 18 Tage vergehen. Nur das Weibchen brütet und wird vom Männchen gefüttert. Feste Bebrütung ab dem zweiten oder dritten Ei. Nach einer Brutdauer von 17 bis 18 Tagen schlüpfen die ersten drei Jungen synchron, der Rest zeitlich gestaffelt in zwei bis drei weiteren Tagen. Das Weibchen übernimmt alleine die Wärmung der Jungen, das Männchen schafft Nahrung herbei, die es dem Weibchen übergibt. In den ersten Tagen werden die Insekten fein zerrupft im Kehlsack zum Nest transportiert. In der späteren Aufzuchtphase beschaffen beide Eltern Nahrung, manchmal füttern sie gemeinsam am Nest dasselbe sperrende Junge. Im Alter von 28 bis 36 Tagen verlassen die Jungen (oft noch nicht voll flugfähig) das Nest. Schon etwa zwei Wochen nach dem Flüggewerden beginnt die Truppbildung.

Die Bruterfolge variieren stark mit der Landschaft und den äußeren Gegebenheiten: So vermindert nasskalte Witterung das erreichbare Angebot an Insekten. Außerdem sind sie abhängig von Alter und Erfahrung der Brutvögel: Einjährige Erstbrüter haben durchschnittlich etwa ein Junges weniger als dreijährige Dohlen. Die Zwei- bis Mehrjährigen sorgen für mehr als zwei Drittel des Gesamtnachwuchses einer daraufhin genau untersuchten Kolonie. Hohe Brutdichten und nicht synchroner Verlauf des Brutgeschäftes in großen Kolonien führen durch gegenseitige Störung zu Verlusten.

In vielen Gegenden Mitteleuropas sind die Bruterfolge durchschnittlich auch über Jahre sehr klein und betragen kaum ein Junges pro Brutpaar. Bei Nahrungsverknappung sterben die letztgeschlüpften Nesthäkchen als erste, wodurch die Brutgröße auf das für die Eltern versorgbare Maß verkleinert wird. Schließlich spielt die Erbeutung durch Marder, Habicht, Wanderfalke und Waldkauz eine Rolle bei den Verlusten. Die Sterblichkeit ist mit 60 bis 70 Prozent nach dem Ausfliegen am höchsten, pendelt sich aber schon nach vier bis fünf Monaten auf ein gleichbleibend niedriges Niveau von jährlich nur etwa 30 Prozent ein.

Je langlebiger die Dohlen einer Region sind, desto geringer scheinen (und müssen) ihre Nachwuchsraten (zu) sein. Ihr Höchstalter ist im Freiland durch Ringfund mit 18 Jahren belegt. In Gefangenschaft können Dohlen knapp 30 Jahre alt werden.

Verhalten

Das Sozialverhalten ist bei Dohlen durch den Nobelpreisträger Konrad Lorenz genau untersucht worden. Es ist höchst komplex und im Dienste eines möglichst reibungslosen und für alle beteiligten Vögel vorteilbringenden Gruppenlebens entwickelt.

Innerhalb der Kolonie kennen sich die Vögel individuell, es gibt eine klare soziale Rangordnung. Kämpfe werden durch ein reiches Inventar an Droh-, Imponier- und Demutsgebärden weitgehend vermieden. Ernsthaft wird nur um Nistplätze gestritten, denn die Halter der Plätze genießen Ansehen. Die Weibchen steigen durch Heirat in den Rang des (vorher meist ranghöheren) Gatten auf. Selbst benachteiligte oder behinderte Vögel haben Vorteile vom Gruppenleben: betteln sie, werden sie von Partnern oder Dritten manchmal mitversorgt. Die Partner eines Paares halten innerhalb der Gruppe eng zusammen, man erkennt sie oft an völlig synchronen Bewegungen.

Ähnlich wie bei anderen Rabenvögeln bringt auch den Dohlen das Schwarmverhalten Vorteile bei der Nahrungssuche und der effizienten, sicheren Nutzung ergiebiger Quellen. Dohlentrupps haben es leichter als Einzelvögel, sich gegen Nahrungskonkurrenten (vor allem Aaskrähen) zu behaupten. Nur während der Bebrütung und während der Huderphase schläft das Weibchen auf dem Nest. Ansonsten werden gemeinsame Schlafplätze aufgesucht, die manchmal bis 25 Kilometer vom Tagesplatz entfernt sein können.

Die Truppstärken sind während der Brutzeit am kleinsten (meist nicht mehr als 50 Vögel, inklusive Nichtbrüter), sie steigen dann nach dem Flüggewerden der diesjährigen Jungen ab Mai auf bis zu 200 Exemplare an. Im Winter können Tausende an Schlafplätzen (oft vergesellschaftet mit anderen Raubvögeln, am häufigsten mit der Saatkrähe) und Mülldeponien zusammenkommen.

 

Quelle: Epple Wolfgang (1997): Rabenvögel. Göttervögel – Galgenvögel – ein Plädoyer im “Rabenvogelstreit”. Karlsruhe: Braun.
Updated: 19/10/2015 — 0:49
Rabenvögel: © 2023 Frontier Theme